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Rückblick auf den zweiten Länderabend in Hamburg

Es war einer der längsten Länderabende, an die ich mich erinnern kann. Aber auch sicher einer der emotional anrührendsten. Anderthalb Stunden wurde auf höchstem Niveau in der Diskussionsrunde ein interessanter Einblick in die Frauenrechtssituation in Georgien, Usbekistan und Russland möglich. 

Vor allem die persönlichen Geschichten und Erfahrungen im Freundes- und Familienkreis unserer drei Stipendiatinnen Gwanza, Kira und Lilii machten offensichtlich, wie verkrustet und frauenfeindlich manche Gesellschaften und Menschen handeln. Besonders schockierend: in Kasachstan und Kirgistan gibt es durchaus die Tradition, dass heiratsfähige Mädchen auf der Straße von wildfremden Männern ohne deren Zustimmung oder vorheriger Absprache mit der Familie des Mädchens entführt werden. Wird dem Mädchen dann im Haus des Mannes von ihm und seiner Familie das Kopftuch angelegt, gilt sie ihm als zur Ehe versprochen – was das Mädchen davon hält spielt keine Rolle. Auch Lilii berichtete, dass in der Kaukasusregion eine Tradition den „Mädchenraubs“ existieren würde – da allerdings ist es wohl eher als eine freiwillige Tradition zu verstehen, eine spielerische Entführung, die einvernehmlich von beiden Ehepartnern durchgeführt wird. In Georgien sind diese Heiratsriten wohl nicht „brutal“, dafür spielt aber auch da Gewalt in der Familie eine Rolle und speziell in ländlichen Regionen scheint es um die Gleichberechtigung der Frau nicht besonders gut bestellt zu sein. Auch wenn Gwanza einschränkt, dass durch höhere Bildung speziell in den städtischen Regionen Frauen frei in ihrer Entwicklung und ihren Ansichten sind und Gleichberechtigung prinzipiell herrscht.

Besonders schmeichelhaft für das Copernicus-Programm und unsere Gastafmilien war eine Erkenntnis von Kira aus Usbekistan: „Ich wollte früher nie heiraten, weil dann meine Zukunft als Hausfrau und Mutter vorbestimmt wäre – so ist das in Usbekistan. Seit ich aber hier in Deutschland zum Beispiel meine Gasteltern erlebt habe, wie die miteinander umgehen und sich auch im Alltag alle Aufgaben teilen und der Mann auch mal für die Frau da ist, seit dem sehe ich das anders. Ich bin beeindruckt davon, wie es eben auch gehen kann.“ Dann hat der Abend und der Copernicus-Austausch doch mindestens an dieser Stelle eine sehr konkrete Weiterentwicklung für die Zukunft unserer Stipendiatinnen gebracht. Das macht auch uns stolz.

 

EDIT: In der ersten Version dieses Artikels war irrtümlicherweise die Rede davon, dass der Mädchenraub in seiner schlimmen Variante in Usbekistan stattfinden würde. Tatsächlich hat das Kira gar nicht erzählt, sie sprach von Nachbarländern. Dieser Fehler geht zu Lasten des Verfassers dieses Artikels (Alexander Schmelzer). Wir bitten dies zu entschuldigen.

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Kommentare: 8
  • #1

    Idris Muhammad O'g'li (Samstag, 05 März 2016 00:22)

    Zum Thema "Entführung " gibt es in Usbekistan nicht ich selber komme aus Usbekistan hab 5 Schwester 4 verheiratet mit Freien Willen. Zum Punkt Gleichberechtigung ; Aufgaben klar teilen heißt nich dass die Frauen unterdrückt werden. Männer Haben eigene Verpflichtungen Frauen eigene alles klar definiert. es gibt natürlich Familien in denen die Frauen schlecht behandelt werden, das kommt nicht nur in Usbekistan sondern in allen Ländern vor, Ausnahmen.
    Meine Kommentare dienen nicht zum Kulterschutz sondern zur Aufklärung .

  • #2

    Rüdiger Marx (Samstag, 05 März 2016 00:48)

    Es ist sowohl uns, als auch Azizas klar, das dies kein alltägliches Problem ist, sondern eher eine Ausnahme darstellt. Vorallem in ländlichen Regionen wird dies noch vereinzelt praktiziert. Es muss jedem leser klar sein, das unsere Vorträge auch Gegebenheiten aufzeigen wollen, die vom westlichen Weltbild abweichen und auch im Heimatland unserer Stips extreme Randerscheinungen darstellen können. P.S: ich möchte keine Position beziehen. Aber bedenke, dass es auch Vorkommnisse gibt die vielleicht nicht direkt vor der eigenen Haustür geschehen von dennen Du weniger oder nichts mitbekommst. Zudem ist es auch immer schwer von der eigenen Familie auf die Allgemeinheit bzw. ein ganzes Volk zu schließen. Wir wollen grade die Perspektive bieten und dazu anregen auch mal "über den Tellerrand zu schauen"!

  • #3

    Yaro (Samstag, 05 März 2016 09:29)

    Liebe Copernicaner und Freunde! Damit es keine Missverständnisse entstehen - der Satz "Besonders schockierend: in Kasachstan und Kirgistan gibt es durchaus die Tradition, dass heiratsfähige Mädchen auf der Straße von wildfremden Männern ohne deren Zustimmung oder vorheriger Absprache mit der Familie des Mädchens entführt werden" entspricht nach meinem Wissen nicht der Realität (ich komme aus Kasachstan) :) Die Erfahrungen von Kira sind wunderbar und inspirierend!

  • #4

    Rüdiger Marx (Samstag, 05 März 2016 10:19)

    Anbei eine kleiner Bericht von Amnesty International

    "Die Kirgisen meinen, Brautraub sei ein jahrhundertealter Brauch. Ihre Vorfahren waren Nomaden und waren es gewohnt, Frauen anderer Stämme zu rauben, noch bevor es den Islam gab. Eine Tradition, die auch im Nachbarland Kasachstan existiert."

    Quelle: http://www.amnesty.de/umleitung/2006/deu05/036?print=1

  • #5

    Alexander Schmelzer (Samstag, 05 März 2016 11:11)

    Ein weiterer Artikel zum Thema Brautraub, hier speziell in Kirgistan: http://m.faz.net/aktuell/politik/ausland/braeute-in-kirgistan-geraubt-vergewaltigt-beschimpft-1464498.html

  • #6

    Kira (Samstag, 05 März 2016 15:58)

    Liebe Damen und Herren aus der Zentralasiatischen Region,
    Liebe Schwestern und Brüder,

    wenn es in euren Familien alles gut, freiwillig und mit Liebe läuft, kann ich mich dafür nur freuen und glücklich sein. Ich wünsche euch, dass ihr solche Freiheit und das Wahlrecht euren Töchtern weitergeben.
    Frieden, Liebe und Harmonie für euer Leben!

    Bitte, beachtet ihr darauf, dass die Situation in den Hauptstädten und Dörfern kann auch unterschiedlich aussehen. Wenn ihr Zuhause alle Nahrungs- und Lebensmittel, sowie gute Lebensbedingungen (kommunale Wasserversorgung =sauberes Trinkwasser, Heizung, Stromversorgung, Stadtentwässerung usw.) haben, bedeutet das nicht, dass alle Menschen in entfernten Gebieten sich solche Möglichkeiten leisten können. Denkt bitte globaler, nicht nur an euch. Denselben Vergleich kann man auch zu den Bräuchen anwenden.

    Ich bin kein kleines Mädchen, um jedem die Rechenschaft ablegen. In meinem Kommentar, der der erste und letzte von mir zu diesem Thema ist, will ich eine Zusammenfassung meiner Präsentation darstellen.

    Meine Präsentation begann ich mit der folgenden Rede: „Bevor ich beginne, möchte ich euch darum bitten, dass ihr euer komplettes Bild oder ihre Vorstellungen von Zentralasien nicht auf meine Präsentation basieren. Zwangsheirat und Gewalt trifft man am meisten in Dörfern. In einer normalen modernen usbekischen Familie respektieren Männer seine Frauen und Frauen haben ihre Freiheit.“

    Dann habe ich betont, dass die Vorstellung, der Islam erlaube die Zwangsheirat, eines der häufigsten Missverständnisse ist, die bezüglich des Islam aufkommen.
    Der Prophet (...) sagte: »Eine ältere Frau darf nur verheiratet werden, wenn dies mit ihr besprochen wurde. Und eine Jungfrau darf nur verheiratet werden, wenn sie der Heirat zustimmt.« Jemand fragte ihn: »O Gesandter Gottes, wie äußert eine Jungfrau ihre Zustimmung?« Er erwiderte: »Sie gibt dadurch ihr Jawort, dass sie schweigt.«
    Buraida xra sagte, dass eine junge Frau zum Propheten xsas kam und sagte: „Mein Vater verheiratete mich mit dem Sohn seines Bruders, um sein Ansehen unter den Leuten zu erhöhen.“ Der Prophet xsas machte darauf die Gültigkeit der Ehe von ihrer Entscheidung abhängig. Daraufhin sagte die junge Frau: „Ich akzeptiere und befürworte die Entscheidung meines Vaters, doch ich wollte den Frauen nur beweisen, dass Väter in dieser Sache keinen Zwang ausüben können.“ (Überliefert in Ibn Majah, und Imam Ahmad and Al-Nasa’i)
    Muhammed xsas also verbot die Zwangsehe und somit ist es ebenfalls jedem einzelnen Muslim verboten etwas dergleichen zu praktizieren.

    Mit einem kurzen Überblick nach Afghanistan und Pakistan habe ich meinen Vortrag weiter berichtet.
    Danach habe ich viel über das Familienrecht der Republik Usbekistan erzählt:
    Gleichberechtigung in der Familie (Art. 19), freiwillige Eheschließung / Verbot der Zwangsehe (Art. 14) und mit dem §237 StGB Deutschlands vergleicht.

    Sagt ihr bitte nicht, dass ihr über den Brautraub zum ersten Mal hören; dass ich alles ausgedacht habe; dass es in dem 21. Jahrhundert nicht passiert! Erzählt bitte mir nicht! Ich habe überlegt: ist Frauenraub eigentlich ein Menschenraub? Warum kann oder darf eine Frau/ ein junges Mädchen, die/das entführt wurde, nichts dagegen machen? Sie haben das Wahlrecht, laut unseren Gesetzen, liebe Damen und Herren. Sie kann eventuell gegen Menschenrechtsverletzung vor Gericht klagen, denn sie gegen den Willen geraubt und verheiratet wurde (Art.125 StGB der Republik Kasachstan, Art. 123 StGB der Kirgisischen Republik). Ist das denn eine Straftat oder sind Frauen nicht Menschen? Als Beispiel habe ich über die Fälle in den Dörfern Kasachstans und Kirgisiens erzählt. Lili aus Kaukasus hat ihre Meinung dazu geäußert.

    Ich bin eine Kasachin, die in Taschkent geboren wurde. Denkt ihr bitte nicht, dass es mein Ziel ist, einen schlechten Eindruck über die Nachbarländer zu erwecken. Wenn man über ein Problem nicht spricht, findet man keine Lösung. Ich will, dass jedes Mädchen das Wahlrecht benutzen kann.

    Liebe Mädchen, wir alle haben Rech zu studieren und arbeiten. Wir können entweder mit 18 oder mit 38 Jahren heiraten – das müssen wir SELBST entscheiden. Wir können entweder 100 oder 0 Kinder zur Welt bringen. Wir können gleichzeitig ein Unternehmen führen und eine gute Mutter und Ehefrau sein. Niemand darf uns unter Druck setzen und sagen mit wem, wann, wo und was zu machen. Ganz egal, was eure Nachbarn und die Gesellschaft sagen. Wir haben unser eigenes Privatleben, wir haben die Rechte und Gesetze in unseren Ländern.

    Mit freundlichen Grüßen aus dem 21. Jahrhundert…

  • #7

    Idris Muhammd 'O'g'li (Montag, 14 März 2016 23:27)

    Bevor man etwas berichtet ist immer vorausgesetzt dass man zum Thema genug Informationen sammelt
    Kleine Fantasie
    Beispiel es sind Flüchtlinge aus Syrien gekommen mit denen ein Jurnalist der das Leben der Flüchtlinge live berichten soll also er erlebt in Deutschland wie die Deutschen Flüchtlinge beleidigend (in Hessen) empfangen als sie gerade vom Bus aussteigen wollten sogar ein polizeibeamte herausreißt einen jungen Flüchtlinge aus der Menge und sogenannte "Patrioten " die Abendland retten wollen beschimpfen Flüchtlinge
    Wie würde der Jurnalist die Lage berichten???
    ...es herrschen in Deutschland immer noch die Stimmung aus dem zweiten Weltkrieg" laut der Bericht
    Grüße von der Mitte des 20 Jahrhunderts ..."
    Woher könnte Jurnalist über die tolerante Menschen in München od Berlin berichten wenn er nicht da gewesen ist
    Zur professionellen presentation gehören deshalb nicht die einseitigen Berichte. Man muss sich besser informieren od lassen statt lückenhaften Vortrag zu halten.

  • #8

    Alex (Dienstag, 15 März 2016 15:05)

    Idris, man muss aber auch über schlechte Dinge und Ereignisse berichten dürfen, auch wenn sie nicht ein vollständiges Abbild einer Gesellschaft oder eines Landes wiedergeben. Denn was wäre denn in deinem Beispiel, wenn der Journalist in Deutschland nicht über die negativen Ereignisse im Umgang mit Flüchtlingen berichten würde? Dann wäre das Zensur. Und der Bericht und Vortrag von Kira war nicht einseitig, sie hat sehr betont, dass zum Beispiel der Brautraub nicht üblich ist oder ständig passiert - aber es gibt ihn, auch wenn dir das nicht passt. Genau so wie es in Deutschland Rassisten gibt, die Flüchtlinge beschimpfen. Das finde ich persönlich auch nicht toll, aber es gehört nun mal zur Wahrheit, dass diese Rassisten eben auch existieren. Und zu einer professionellen Einstellung gehört eben auch, dass man gegnerische Meinungen akzeptiert und sie nicht pauschal (und vor allem ungerechtfertigt) als einseitig betitelt oder der Referentin falsche Informationen unterstellt oder den Vortrag als lückenhaft darstellt. Also bitte halte dich selbst an deine eigene Forderung: argumentiere nicht einseitig und informiere dich besser, bevor du behauptest, dass die hier präsentierten Informationen falsch oder lückenhaft wären!